Utopie statt Apokalypse - mit Optimismus gegen den Klimawandel

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Die Sintflut kommt, der Meeresspiegel steigt unaufhörlich und Wetterextremereignisse wie Dürren und Hochwasser werden weltweit immer häufiger. Ein neuer Alarmismus ist in den Medien zu vernehmen. Grundlagen dieser Medienberichte sind persönlichen Erfahrungen der Journalist*innen mit jüngsten Wetterereignissen und neuere wissenschaftliche Publikationen. Diese enthalten eigentlich keine neuen Erkenntnisse: Steffen et al. (2018, PNAS) beschreiben schon lange bekannte und wissenschaftlich kommunizierte Rückkopplungen des globalen Energiehaushaltes in Folge eines globalen Temperaturanstiegs wie zum Beispiel das Abschmelzen von Nordpolarmeer-Packeis oder grönländischem Inlandeis. Auch nicht neu ist das Wissen über eine dadurch ausgelöste Kaskade an weiteren Rückkopplungen wie der Veränderung der globalen Meereszirkulation durch veränderte Salzkonzentrationen oder eine weitere Degeneration der Kohlenstoffsenken wie Amazonasregenwald und borealer Permafrost (speichern das Klimagas Methan).

Foto von Matt HardyDie Wissenschaft warnt

Neu ist die zunehmend ernstere und schärfere Tonlage, in der Wissenschaftler*innen die Problematik beschreiben. Die Zeiten einer zurückhaltenden und nüchternen Sprache scheinen inzwischen wirklich vorbei. Wir haben die 1.5° C-Grenze schon überschritten, unverhohlen warnen Steffen et al. vor dem Szenario einer „Hothouse Earth“ mit 5° C höheren Temperaturen und mahnen vor einer dann irreversiblen Stabilisierung des Weltklimas auf höchstem Niveau: Die Menschheit hat in ihrer jüngeren evolutionären Geschichte ein solches Szenario nicht erlebt und die zivilisatorischen Folgen dürften interne Konflikte auslösen, die wir uns kaum vorzustellen vermögen. Auch ein guter Anteil der heutigen Arten und Ökosysteme hat keinerlei Erfahrungen mit einer solchen rapiden Veränderung.

Die Botschaft der Wissenschaftler*innen scheint bei denjenigen angekommen zu sein, an die sie adressiert war. Sind die Erkenntnisse selbst nichts Neues, sollen sie jedoch Journalist*innen anregen, neben den sonstigen nicht weniger dramatischen Themen wie anwachsendem Rechtspopulismus und Autoritarismus den Klimawandel wieder in den Fokus der Gesellschaft zu rücken. Das zumindest klappte, die Medien griffen das Thema auf. Jonathan Watts schreibt im Guardian, dass „Klimaveränderungen wie Dominosteine die Erde ins Hothouse-Stadium bringen werden, aus welchem die Menschheit die Erde auch mit Emissionsreduktionen nicht mehr zurückholen kann.“ Tobias Haberkorn geht in der Zeit schon weiter und stellt resigniert fest, dass auch diese Botschaft von der Politik und den einzelnen handelnden Individuen in den westlichen Industriestaaten ignoriert werden wird. Völlig ernüchtert stellt er fest, die „Sintflut kommt“ und zitiert zurecht aus Bruno Latours Buch Kampf um Gaia das Paradoxon, dass wir beim harmlosesten Schnupfen zum Arzt gehen oder beim kleinsten Geräusch unseres Autos den Mechaniker rufen obwohl wir vernünftigerweise annehmen können, es ist meist nichts Ernstes. Dieses Vorsorgeprinzip schaffen wir aber nicht beim Klimawandel: Die konservativeren Szenarien wurden alle übertroffen, Prognosen wurden Realität. Doch ändern tun wir wenig.

Foto von Nikolas NoonanSchock als Mittel zum Zweck?

Die Intention dieser wissenschaftlichen Botschaften an die Gesellschaft und der jeweiligen journalistischen Aufarbeitungen ist die eines Wachrüttelns. Die Frage ist jedoch, ob alleine ein weiteres Drehen an der Aufmerksamkeitsspirale helfen wird bzw. nicht gar zu einer weiteren Lähmung beiträgt. Georg Ehring thematisiert es im Deutschlandfunk zurecht: „Seit 30 Jahren ist es immer fünf vor zwölf“ – doch die Politik verharrt in Absichtserklärungen oder maximal in kleinsten Schritten. Die Zivilgesellschaft prangert zwar zunehmend und zurecht die Thematik Klimaschutz an (#hambibleibt), große Teile der Gesellschaft verharren jedoch irgendwo zwischen Lethargie und einer diffusen Angst vor Überfremdung oder setzt mit klassischer Technikgläubigkeit auf Green Economy und E-Mobilität.

Doch was kann die Lösung sein? Tobias Haberkorn wirbt für Szenarien einer „Kriegswirtschaft gegen den Klimakrieg“ und einen „Weltklimagerichtshof“, der zumindest im Nachhinein die Schuldfrage klärt. Er postuliert zurecht „Pessimismus ist langweilig“ und beschreibt die psychologische Fatalität sich „der nachrichtlichen Logik aus immer neuen Klimastudien“ zu ergeben. Er bleibt jedoch weiterhin düster, wenn er auf Rebecca Solnit im Guardian verweist, welche die Klimaaktivist*innen von heute mit Kämpfer*innen gegen die Sklaverei und mit Dissident*innen im Gulag vergleicht. Denn aus unserer eigenen Geschichte wissen wir gerade in Deutschland, dass nur die wenigsten sich gegen Diktaturen gewehrt haben. Auch wenn es natürlich moralisch stimmig sein mag, das eigene Handeln der eigenen Ethik und nicht den staatlichen und ökonomischen Zwängen zu unterwerfen.

Foto von Kevin GrieveUtopie statt Apokalypse

Der Soziologe und Transformationsforscher Harald Welzer setzt früher an. Er plädiert für Utopien statt Apokalypse, Visionen statt Verzichten und Selbstermächtigung statt Lethargie. Mit „die Welt ist zum Verändern, nicht zum Ertragen da“ setzt er sich für ein positives, individuelles und proaktives Handeln im Hier und Jetzt ein. Wenn sich das herumspräche, schreibt er, kommen auch wieder positive Zukunftsbilder in der Gesellschaft auf. Und damit sind wir wieder beim Motto „Einfach. Jetzt. Machen.“ der Transition Town-Bewegung - praktische Antworten auf gegenwärtige Krisen. Mit optimistischem Pioniergeist sollen im Kleinen konstruktive Prozesse zu einer zukunftsfähigen Lebensweise erprobt werden. Die Hürde in die utopistische Zukunft kann mit dem mehrdeutigen Begriff „transition“, in einer Transformation und in einem nachhaltigen Wandel angegangen werden. Wir müssen keine Revolution starten, wir dürfen aber kleine Schritte wagen, uns als Pionier*innen fühlen und wissen, wir befinden uns im Übergang und in einer Greifbarmachung der Utopien. Dafür haben wir viele spannende Konzepte fürs beherzte Handeln entwickelt: Urban Gardening, gewaltfreier Kommunikation, solidarische Landwirtschaft, Permakultur und Gemeinwohlökonomie um nur ein paar aufzuzählen. Und unsere Ideen und Ansätze sind sicherlich nicht die einzig wahren, andere Akteur*innen mit anderen Lebensstilen sind genauso gefragt. Dabei dürfen auch große politische Fragen gestellt werden, wie Will Steffen, Hauptautor der Hotearth-Publikation persönlich argumentiert, wenn er sagt: „die neo-liberale Wirtschaft liegt völlig falsch“. Wir dürfen nur nicht vergessen, den Mut zu verlieren und auch große Antworten auf große Fragen zu geben: Utopien mit der Bereitschaft zur Verwirklichung.

Bildmaterial: Matt Hardy, Nikolas Noonan und Kevin Grieve.