Spiekerooger Klimagespräche: Wirtschaftswissenschaften vor einer neuen Evolutionsstufe?

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Wie müsste eine Wirtschaftswissenschaft beschaffen sein, die Prozesse fördert, um ein menschenwürdiges Überleben auf dieser Erde zu ermöglichen? Das war die Leitfrage der 8. Spiekerooger Klimagespräche. Den Gesprächen war ein Manifest vorausgegangen, das 32 kritische Wissenschaftler*innen unterschrieben haben.

 

Die Ziele der 8. Spiekerooger Klimagespräche waren ehrgeizig. Sie sollten nicht nur Reflektion, Austausch und Vernetzung ermöglichen. Es ging auch um die Frage, wie die kritischen Denker*innen, Strömungen und Netzwerke unter den Wirtschaftswissenschaften mehr Schlagkraft und Präsenz bekommen. Denn bislang dominieren an Universitäten die neoliberalen Schulen, die sich in einem Teufelskreis der Selbstverstärkung kontinuierlich neu generieren: Etablierte Vertreter*innen prägen die Lehre. Sie stellen die Gutachter*innen bei Publikationen und Forschungsanträgen. Auch in Berufungskommissionen üben sie ihren Einfluss aus und sorgen auf diese Weise wieder für den Erhalt der neoliberalen Forschung und Lehre. Derartige rückwärtsgewandte Strategien konnte man erst jüngst beobachten an der Universität Oldenburg. Hier wurde durch Kursänderungen im Berufungsverfahren die Berufung des Postwachstumsökonomen Niko Paech vereitelt. Er lehrt nun im neuen Masterstudiengang Plurale Ökonomik der Universität Siegen.

Die neue Wirtschaftswissenschaft muss demnach nicht nur über neue Inhalte nachdenken sondern auch über neue Strukturen und eine stärkere Institutionalisierung. Die Organisator*innen der Klimagespräche um Prof. Dr. Reinhard Pfriem hatten nun über 30 Menschen aus Universitäten, Institutionen und Bewegungen eingeladen. Sie arbeiteten zweieinhalb Tage in mehreren Arbeitsgruppen an ganz unterschiedlichen Fragen:

  • Was ist die Kritik an den Praktiken der herkömmlichen Wissenschaft? Auf welchen Normen beruht diese Kritik?
  • Welche Zukunftsthemen sollten im Vordergrund der Forschung stehen und wie sollten sie erforscht werden?
  • Welche Schulen, Strömungen, Methoden und Modelle sind eher brauchbar, welche weniger?
  • Welche Organisationsformen für ein neues Netzwerk sind hilfreich und notwendig?
  • Wie kann das Netzwerk zur transformativen Wirtschaftswissenschaft infrastrukturell organisiert und erweitert werden?

 

Zweieinhalb Tage waren natürlich zu kurz, um diese Fragen angemessen zu beantworten. Auf den Abbildungen unten seht ihr Ergebnisse der Themengruppe 2. Sie zeigen beispielhaft Zukunftsfragen und -themen und methodologische Ansätze. Auf der Wunschliste stehen alternative Betriebsmodelle und die gesellschaftliche Organisation der Arbeit genauso wie die Frage nach den Herrschaftsstrukturen und praktiken des alten Systems. Sicher ist: Eine Ökonomie die sich an den Grenzen der Erde orientiert wird in allen Lebensbereichen die Frage beantworten müssen: Was ist das rechte Maß? Wie wird das rechte Maß verhandelt? Welche Akteure müssen beteiligt werden, welche Foren und Institutionen ermöglichen eine Verständigung? Wer überwacht die Einhaltung und was sind die Sanktionen?

 

Irritierend war für manche, mich eingeschlossen, die Diskussion um Normen einer neuen Ökonomie. Die Teilnehmenden konnten sich in der Kürze der Zeit nicht auf ein gemeinsames normatives Fundament einigen. Eine neue Bewegung ohne Normen allerdings würde Vielfalt ohne Einheit produzieren und weiter für Orientierungslosigkeit sorgen, warnten einige Stimmen. Jonathan Barth vom Netzwerk Plurale Ökonomik beispielsweise meinte: Wir haben es heute mit neuen rechten Bewegungen zu tun, wir können uns nicht in die Wissenschaft zurück ziehen, wir müssen reale Antworten auf die Krisen unserer Zeit formulieren. Auch hier war die Zeit zu kurz um die Diskussion weiter zu führen. Die Tatsache aber dass wir uns darüber streiten, zeigt, dass wir die richtige Debatte führen, meinte Pfriem.

 

Diese Diskussion machte auch deutlich, dass die Institutionalisierung kritischer Wirtschaftswissenschaften vor besonderen Herausforderungen steht. Sie muss den Bedürfnissen und Strukturen von sehr heterogenen Gruppen Rechnung tragen. Zumindest waren sich alle Anwesenden einig, dass die kritischen, transformativen Wirtschaftswissenschaften mehr Sichtbarkeit und Wirksamkeit brauchen. Daher soll nun an einem Konzept für ein Zentrum oder Knotenpunkt der kritischen Strömungen gearbeitet werden. Es soll den Zugang zu Ressourcen und zur Wissenschaftspolitik erschließen, neue Forschungsthemen bearbeiten, langfristig die nachhaltige Transformation von Gesellschaft und der Wirtschaftswissenschaften begleiten. Den Aufschlag machen Vertreter*innen mehrerer Institute, darunter das Wuppertal Institut, IÖW; Mitglieder vom Netzwerk plurale Ökonomik und die Cusanushochschule.

Diese Aufbau-Arbeit wird aber noch viel Zeit und den Input vieler weiterer Akteure benötigen. Es wird also noch ein wenig dauern bis wir die Wirtschaftswissenschaften haben, in die wir gerne unsere Kinder und Enkel zum Studieren schicken.

 

An erster Stelle ist den Organisator*innen zu danken, die das Treffen vorbereitet und ermöglicht haben. Dankbar und hoffnungsvoll machen mich auch die vielen Teilnehmer*innen, die als Transition Akteur*innen, auf ihre Weise und an ihrem Ort für den Wandel aktiv sind.

Gesa Maschkowski

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Kommentare

Bild des/r Benutzers/in Stephanie Ristig-Bresser

Liebe Gesa,

ganz herzlichen Dank fürs Mitteilen - ich schaue mir das in Ruhe und melde mich dazu.

Herzliche Grüße

Steffi.