Gewaltfreier Widerstand in der Klimakrise? Baumhausbesetzungen im Dannenröder Forst

Bild des/r Benutzers/in Davide Roberto

Bild: Leonhard Lenz (veröffentlicht unter der "Creative Commons CC0 1.0"-Lizenz: Das Bild darf ohne vorherige Bitte um Erlaubnis kopiert, verändert und vervielfältigt werden).

 

"Wir können den Bau von neuen Autobahnen mitten in dieser Klimakrise nicht mehr akzeptieren. Deswegen sind wir hier im Danni!"

 

Es ist früh morgens im Dannenröder Forst, bei Temperaturen um 0°C ist es auch mit sechs Lagen Kleidung einfach nur kalt. Trotzdem sind auch heute rund 300, vorrangig junge, Menschen im Wald und in den Camps und Mahnwachen bei Dannenrod gegen den Bau der A49 aktiv. Dabei bringen sich diese Menschen, basierend auf ihrem eigenen Zeitbudget und angepasst an ihr persönliches Stress- und Aktionslevel an unterschiedlichen Stellen ein, sei es bei den Baumhaus-Besetzungen, bei Sitzblockaden, beim Kochen oder Spülen oder bei der Mobilisierungs- und Pressearbeit. Sie arbeiten dabei intensiv mit lokalen und überregionalen Gruppen zusammen: Aktionsbündnis Keine A49, Schutzgemeinschaft Gleental, BUND, Naturfreunde, Campact, Attac, Fridays for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände, Robin Wood. Aus meiner eigenen, persönlichen Erfahrung vor Ort ist es mir ist es mir wichtig zu betonen, warum dieser Protest mehr und besondere Beachtung und Unterstützung verdient. Dabei habe ich auch uns Aktive aus der Transition-Town-Bewegung im Blick.

Klimapolitischer Irrsinn: Autobahnbau trotz eigentlich notwendiger Verkehrswende

Deutschland hat sich im Übereinkommen von Paris zu klaren Reduktionen des CO2-Ausstoßes bekannt, um das 1,5°-Ziel [1] noch zu erreichen. Dazu hat sich die Bundesregierung zu umfangreichen Klimaschutz-Maßnahmen bis zum Jahr 2050 verpflichtet, gerade auch im Verkehrssektor [2]. Diese Maßnahmen werden von Kritiker:innen allerdings zurecht als unzureichend bewertetet: Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Autoverkehr Verkehrswissenschaftliche Studien zeigen klar auf, dass neue Straßen auch neuen Mehr-Verkehr erzeugen (induzierter Verkehr) [3, 4].

Angesichts dieser Situation ist ein Festhalten an uralten Planungen wie der A49 nicht mehr möglich. Der Protest scheint mir trotz des bestehenden Rodungsrechts als legitim und notwendig, hinterfragt er doch die Liste und Logik der geplanten Projekte des Bundesverkehrswegeplans insgesamt: Bis zum Jahr 2030 sollen noch 900 km Autobahnen neu gebaut und 1.685 km verbreitert werden [5]. Die Verbissenheit, mit der dieser Bau mit aller staatlichen Gewalt - mit dem Polizeiknüppel und dem Wasserwerfer - durchgesetzt wird, scheint mir zu einem guten Teil in den Interessen in Politik und Wirtschaft begründet zu sein: Die Angst davor, dass es mit dem großflächigen Straßenbau insgesamt zu Ende gehen könnte.

Gewaltfreier Widerstand als politisches Protestmittel darf nicht kriminalisiert werden!

Sitzblockaden, Abseilaktionen und auch Baumbesetzungen haben eine langjährige Tradition im zivilen Ungehorsam auf der ganzen Welt. Die strafrechtliche Bewertung dieser Protestformen war immer im Wandel und ist von Gericht zu Gericht und von Fall zu Fall unterschiedlich bewertet worden [6].

Dabei ist durchaus klar, dass diese radikalen, größtenteils nicht vom Versammlungsrecht gedeckten Maßnahmen polarisieren, ja polarisieren sollen. Die protestierenden Personen wollen mit zivilem Ungehorsam auf ein übergeordnetes, moralisches Unrecht hinweisen [7]. Im konkreten Fall der Aktivisti im Dannenrdöer Forst geht es um den leider nicht immer erkennbaren Zusammenhang zwischen dem fortschreitenden Straßenbau und der Klimakrise, welche schon heute zu Missernten, einem rasanten Artensterben, sich ausbreitenden Krankheitserregern und leider gar Toten führt [8].

Bild: Leonhard Lenz (veröffentlicht unter der "Creative Commons CC0 1.0"-Lizenz: Das Bild darf ohne vorherige Bitte um Erlaubnis kopiert, verändert und vervielfältigt werden). Link: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Danni_bleibt_demonstration_Dannenrod_2020-10-04_02.jpgUnabhängige Berichterstattung ist zurzeit nicht möglich, die Presse wird zunehmend vom Ort des Geschehens abgeschirmt oder gar verwiesen [9, 10]. Die PR-Arbeit der Polizei betont angebliche oder teilweise auch dokumentierte Gewalttaten einzelner Protestierender besonders [11, 12]. Dies dient in meinen Augen dazu, den Protest zu delegitimieren oder von brutalen und unangemessenen [13, 14] Polizeieinsätzen und -übergriffen abzulenken [15]. Unabhängige Berichterstattung ist wichtig, da nur sie PR-Meldungen beider Seiten selbst überprüfen kann. So wurde schon manche Falschmeldung der Polizei im Nachgang aufgedeckt [16].

Mir ist durchaus bewusst, dass Meldungen über Angriffe gegen Polizeibeamt:innen und Sachbeschädigungen an Baufahrzeugen und -einrichtungen [16] am Verständnis eines gewaltfreien Protestes rütteln. Zum einen ist das jedoch nach meiner Erfahrung eine sehr kleine Minderheit der Protestierenden, zum anderen ist die Beweislage, wer von der Polizei per Twitter veröffentlichte Sachbeschädigungen begangen hat, oft unklar. Die zur Zeit zu beobachtende Spirale an gegenseitigen Beschuldigungen trägt jedoch nicht zur Befriedung der Situation bei.

Bild: Leonhard Lenz (veröffentlicht unter der "Creative Commons CC0 1.0"-Lizenz: Das Bild darf ohne vorherige Bitte um Erlaubnis kopiert, verändert und vervielfältigt werden).

Camps als Zukunftslabore eines empathischen und liebevollen Zusammenlebens

Wer sich selbst in Dannenrod und in den Camps am Dorfrand aufhält, spürt trotz der dramatischen Lage im Wald und den vielen zermürbenden Polizeikontrollen im Umfeld, dass sich hier, vorrangig junge Menschen mit viel Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit sowie Einfühlungsvermögen engagieren. Der Umgang und Zusammenhalt zwischen der lokalen Bevölkerung und den Aktivisti als auch in den Camps ist von Empathie und Respekt geprägt.

Ein zentrales Schlagwort des Zusammenlebens ist dabei Achtsamkeit für die Bedürfnisse der einzelnen Individuen. Das fängt bei der Ansprache des Gegenübers an, geht über Gesprächsangebote bis zur Vermittlung von psychologischer Hilfe. Auch die, mit einem Bewusstsein für flache Hierarchien, Organisation der Küche, der Zeltplätze, Kundgebungen, Pressearbeit und Mitfahrtbörsen verdient besondere Beachtung: Wäre das nicht beispielsweise auch etwas für den eigenen Arbeitsplatz oder die Lokalpolitik? Manches mag für Außenstehende ungewohnt sein; ich bin aber immer wieder beeindruckend wie zielorientiert und gleichzeitig wertschätzend diese anarchischen Strukturen funktionieren. Dabei lassen sie trotz des immensen Drucks von außen, verschärft durch die Corona-Abstands-Regelungen, eine Vision eines zukünftigen Zusammenlebens in unserer Gesellschaft real praktisch werden.

Ich möchte abschließend betonen, dass hier Menschen am Werk sind, denen das aktuelle und zukünftige Zusammenleben auf diesem Planeten wichtig ist, die dazu etwas zu sagen haben und auch es auch aktiv und gemeinsam gestalten wollen (Empowerment). Aus meiner Sicht sollte der Staat zu diesen Aktivisti und ihren Anliegen nicht in Gegnerschaft stehen, sondern endlich viel mehr das Gespräch suchen, hinterfragen und Anstöße zur Veränderung annehmen. Gleichzeitig muss im konkreten Fall des fragwürdigen Weiterbaus der A49 insbesondere auch auf die lokale Bevölkerung zugegangen werden, die sich von ihren eigenen politischen Vertreter:innen immer weniger vertreten und verstanden fühlt.

Aktiv werden

Weitere Informationen gibt es auf den folgenden Webseiten:

"Wald statt Aspalt"-Bündnis (mit Camp bei Dannenrod): https://wald-statt-asphalt.net/de/

Aktionsbündnis keine A49 / Mahnwache Dannenröder Forst: https://www.mahnwache-dannenröderforst.de

 

[1] https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/paris_abkommen_bf.pdf

[2] https://www.bmu.de/themen/klima-energie/klimaschutz/nationale-klimapolitik/klimaschutzplan-2050/#c11681

[3] https://www.autofrei.de/index.php/darum-autofrei/gerechtigkeit/2-uncategorised/74-induzierter-verkehr

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Jevons-Paradoxon

[5] https://www.swr.de/odysso/deutsche-autobahnen-zahlen-und-fakten/-/id=1046894/did=22179798/nid=1046894/1qp9rlg/index.html

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Ziviler_Ungehorsam#Deutschland

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Ziviler_Ungehorsam#Theoretische_Grundlagen

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Folgen_der_globalen_Erw%C3%A4rmung

[9] https://nitter.net/ver_jorg/status/1332334619115597826

[10] https://nitter.net/Ti_Wag/status/1331158208019374080

[11] https://nitter.net/Polizei_MH

[12] https://nitter.net/ver_jorg/status/1328430388922945539

[13] https://taz.de/Dannenroeder-Wald-statt-A49/!5727529

[14] https://nitter.net/iv_anno/status/1330829270726406145

[15] https://invidious.snopyta.org/watch?v=2yC4TUGeOXY

[16] https://www.fr.de/politik/dannenroeder-forst-wald-live-a49-polizei-heute-gewalt-protest-pyrotechnik-besetzung-rodung-90109410.html